Prof. Dipl.-Berging. Dr. rer. nat. habil. Hans Runge

* 27.08.1893  † 25.12.1962

Direktor des einstigen Institutes für Tiefbohrkunde und Erdölgewinnung

Vita

Prof. Hans Runge war vom 1. Februar 1943 bis zum 31. Dezember 1945 Ordinarius für Bergbaukunde (Tiefbohrkunde und Erdölgewinnung) an der Bergakademie Clausthal. Er war der erste Direktor des heutigen Institutes für Tiefbohrtechnik, Erdöl- und Erdgasgewinnung der Technischen Universität Clausthal.
Hans Runge wurde am 27. August 1893 im damals preußischen Altona geboren, wo sein aus Wilster in Holstein stammender Vater Notariatsbürovorsteher war. Hans Runge war Hamburger in seinem Lebensstil, fühlte sich aber als Preuße und liebte die norddeutsche Landschaft über alles, die er als Wandervogel oft durchwanderte. Fritz Reuters Erzählungen trug er gerne Plattdeutsch vor. Nach dem Schulbesuch nahm er das Studium der Geologie an der Universität Marburg auf und wurde in der Turnerschaft Schaumburgia aktiv. Den ersten Weltkrieg erlebte er als Angehöriger des Infanterie-Regiments 31 an der französischen Front, bis er im November 1915 in der Champagne als Leutnant d. Res. in Kriegsgefangenschaft geriet. 1920 heimgekehrt, setzte er seine Studien an der Hamburgischen Universität fort und promovierte dort im April 1921 mit einer Dissertation "Sedimentpetrographische Beiträge zur Genese und Gliederung des Miozän im Untergrund von Hamburg". Schlechter Berufsaussichten wegen entschloß er sich, die geologische Ausbildung durch ein bergtechnisches Studium zu ergänzen. Nach Ableistung der Beflissenenzeit bezog er die Bergakademie Clausthal und legte dort im Dezember 1922 die Diplomhauptprüfung ab. In dieser Zeit verkehrte er als Gast in der Turnerschaft Rheno-Germania zu Clausthal.
Im September 1923 trat Hans Runge in die ERDA AG in Göttingen, einem geophysikalischen Unternehmen, ein und wechselte bei deren Erlöschen im Juni 1925 zur "SEISMOS GmbH zur Erforschung von Gebirgsschichten und nutzbaren Lagerstätten" mit Sitz in Hannover. Der SEISMOS gehörte er bis Ende 1931 an. In diesen Jahren leitete er zahlreiche Untersuchungen von Erzvorkommen und von Salz- und Erdöllagerstätten sowohl in Deutschland als auch in Spanien, Polen, Kanada und den USA. Als er mit vielen Kollegen die SEISMOS wegen der schlechten Wirtschaftslage verlassen mußte, unternahm er geophysikalische Untersuchungen aus privater Initiative im norddeutschen Raum und habilitierte im Dezember 1932 an der Bergakademie Clausthal mit dem Thema "Die Aussichten für weitere Anwendung des Tiefbau-Grubenbetriebes bei der Erdölgewinnung". Als Privatdozent hielt Hans Runge dann bis 1939 Vorlesungen über Bildung, Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl sowie die deutschen Erdölvorkommen am Institut für Kohlen-, Erdöl- und Schieferbergbau der Bergakademie Clausthal, dessen Direktor, Prof. Wilhelm Schulz, bis zu seinem Tode im Jahre 1951 ihm ein enger Freund und Förderer war.
Von Dezember 1933 bis September 1943 gehörte Hans Runge der Hermann von Rautenkranz Internationale Tiefbohr KG "ITAG" in Celle an. Seine Aufgabe war zunächst die geologische Beratung der Bohrarbeiten des Unternehmens. Nach der Erteilung von Handlungsvollmacht 1934 und von Prokura 1936 und der Ernennung zum Leiter des Geologischen Dienstes wurde er 1939 unter dem Firmeninhaber stellvertretender Leiter der Zentralverwaltung der Bohr- und Gewinnungsbetriebe. Diese Geschäfte führten ihn nicht nur in die verschiedenen deutschen Ölprovinzen, sondern auch in das Wiener Becken, in die Tschechoslowakei, nach Jugoslawien und Griechenland und in die Schweiz. Seine weitgefächerten Fachkenntnisse brachte er in verschiedene Fachausschüsse der Industrie ein; sie regten ihn zu häufigen Vorträgen und Veröffentlichungen an. Während seiner Tätigkeit bei der ERDA AG hatte sich Hans Runge mit der im gleichen Unternehmen arbeitenden Elisabeth Oppermann geb. Weihrauch angefreundet, deren Ehemann 1915 gefallen war und die mit ihrer achtjährigen Tochter in ihr Göttinger Elternhaus zurück gekehrt war. Im April 1924 heirateten die beiden und im Juli 1925 wurde ihnen ihr Sohn Hans Carsten geboren. Mit dem beruflichen Wechsel von der ERDA AG zur SEISMOS GmbH wechselte die Familie von Göttingen nach Hannover, und mit dem Ausscheiden aus der SEISMOS GmbH folgte Anfang 1932 der Umzug in das leerstehende Pfarrhaus in Wartjenstedt zwischen Hildesheim und Goslar, welches Eltern und Kindern für die folgenden drei Jahre ein bezauberndes ländliches Zuhause bot. Unter dem Eindruck des allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Niederganges trat Hans Runge im November 1932 der NSDAP bei. Er verbrachte viel Zeit in Clausthal-Zellerfeld und ab 1934 in Celle, wohin die Familie 1935 übersiedelte und dort 1938 ein eigenes Haus bezog. Einen tiefen Schatten warf 1937 der Tod der Tochter auf das sonst sorgenfreie Leben der Familie.
Ende 1942 erhielt Hans Runge, gefördert durch die Industrie-Fachgruppe Erdölgewinnung und die Abteilung Bergbau des Reichswirtschaftsministeriums, den Ruf als ordentlicher Professor für Tiefbohrkunde und Erdölgewinnung an der Bergakademie Clausthal. Nachhaltig ermutigt durch seinen Freund Professor Wilhelm Schulz, der sich seit Jahren für die Errichtung einer solchen Professur eingesetzt hatte, sagte Hans Runge zu und wurde im Februar 1943 mit der vertretungsweisen Wahrnehmung des neuen Lehrstuhls für Bergbau, Tiefbohrkunde und Erdölgewinnung beauftragt. Einen vorübergehenden Stillstand in der Errichtung des Lehrstuhls brachte ein Führererlass im Frühjahr 1943, der alle Neugründungen von Hochschuleinrichtungen untersagte. Zum 1. Juni 1943 wurden jedoch auf Drängen der Bergakademie und der Bergbauabteilung des Reichswirtschaftsministeriums die Voraussetzungen für die Gründung des neuen Lehrstuhls und Instituts geschaffen. Das Institut wurde zudem als Rüstungsbetrieb anerkannt und bekam eine, allerdings bescheidene personelle und materielle Grundausstattung. Dr.-Ing. Hubert Becker, bisher Lehrbeauftragter und ab 1943 Honorarprofessor am Institut von Professor Schulz, wechselte in das neue Institut über. Hermann von Rautenkranz als Eigner der ITAG entband Hans Runge im Sommer 1943 von seinen Verpflichtungen dem Unternehmen gegenüber, so daß der Lehrbetrieb bereits aufgenommen werden konnte.
Am 1. Oktober 1943 erhielt Hans Runge seine Ernennung zum Ordentlichen Professor für Bergbaukunde. Die Forschungsarbeiten des neuen Instituts wurden insbesondere auf bohr- und spülungstechnische Fragestellungen ausgerichtet. Neben dem Institutsbetrieb fanden sogenannte Erdöl-Sonderlehrgänge statt, an denen die Prof. Schulz, Runge und Becker maßgeblich beteiligt waren.
Mit Kriegsende wurden auch am Institut für Tiefbohrkunde und Erdölgewinnung die Arbeiten unterbrochen. Durch Verfügung vom November 1945 veranlaßte die britische Militärregierung die Entlassung von Prof. Runge aus dem Amt. Es folgte das übliche langwierige Entnazifizierungsverfahren, in dessen Verlauf Hans Runge zunächst wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP seit 1932 in die Kategorie III eingereiht und mit einem Verbot der Beschäftigung in unterrichtenden Berufen sowie einer Einkommensbegrenzung belegt wurde. Bei dem von Prof. Runge angestrengten Berufungsverfahren erfolgte eine Einstufung in die Kategorie V (entlastet), so daß keine Bedenken mehr gegen die Wiedereinsetzung Hans Runges in das Lehramt an der Bergakademie Clausthal bestanden.
An der Bergakademie hatten jedoch, gleich nach Wiederaufnahme des Lehrbetriebs im Sommer 1946, Bestrebungen begonnen, die Professorenstelle von Prof. Runge für das Fachgebiet Aufbereitung umzuwidmen. Die Geschäfte des Instituts für Tiefbohrkunde und Erdölgewinnung wurden ab WS 46/47 vertretungsweise von Prof. Dr.-Ing. Hubert Becker, Direktor der Deutschen Bohrmeisterschule in Celle, wahrgenommen. Trotz der Einsprüche, insbesondere der Professoren Rellensmann und Becker, beschloß das Professorenkollegium (Fakultät) Mitte 1948, also nach dem positiven Entnazifizierungsbescheid für Prof. Runge mehrheitlich die Umwandlung der Professur. Hans Runge erhielt schließlich Anfang 1950 die rechtliche Stellung eines Wartestandsbeamten und wurde 1956, mit Vollendung des 63. Lebensjahr, emeritiert. Nach seiner Entlassung aus dem Amt Ende 1945 suchte Hans Runge aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, aber auch in Abwehr der ihm aufgezwungenen Untätigkeit, neue Betätigungsfelder, die er als Gutachter, Sachverständiger und Berater fand. Auf besondere Anerkennung stieß seine Tätigkeit als Obmann des DVGW-Fachausschusses "Wasserversorgung und Bergbau"; Er verstand es, in dieser Funktion mit größter Objektivität die oft gegensätzlichen Belange dieser Sparten auszugleichen. In der Berg und Hüttenschule Clausthal lehrte er zeitweise Bergbaukunde sowie Gesetzeskunde und in den Informationsseminaren der Deutschen Shell AG referierte er über Jahre hinweg über Erdölentstehung und -gewinnung. Zahlreiche Veröffentlichungen, viele Vortragsmanuskripte und eine umfangreiche Fachkorrespondenz zeugen von einem äußerst kreativen Lebensjahrzehnt, wenngleich ihm besonders die ersten Nachkriegsjahre durch die bittere Erfahrung der Vertreibung aus dem geliebten Beruf für den Rest seines Lebens in bedrückender Erinnerung blieben.
1944 waren Prof. Runge und seine Frau aus dem Celler Haus nach Clausthal umgezogen. Nach dem endgültigen Verlust des Lehrstuhles zog es sie in eine unbelastetere Umgebung: 1949 bauten sie mit der Hilfe ihres Sohnes Hans Carsten ein kleines Landhaus bei Wartjenstedt, wo Lisa Runge ihrem Mann mit Bienen, Haustieren und schönem Landgarten ein glücklich abgeschiedenes Zuhause schaffte. Hans Runge las viel: Nietzsche, Kierkegaard, Sartre und Hemmingway bestärkten ihn in seinen lebenskritischen Gedankengängen. Das Celler Haus war 1946 von der britischen Besatzungsmacht beschlagnahmt worden; erst 1956 konnten die Runges dorthin zurückkehren - leider in eine durch die Großbaustelle des Allgemeinen Krankenhauses entwertend beinträchtigte Umgebung. Schwere Erkrankungen beider im Jahre 1960 bestärkten sie in dem Entschluß, sich erneut auf die Suche nach einem ruhigen Alterssitz zu begeben. 1961 verkauften Sie das Celler Haus an die Stadt und nahmen den Neubau eines Bungalows im Goslarer Stadtteil Jürgenohl in Angriff. Nach manchen kräftezehrenden Mühen konnte das neue Domizil Anfang Dezember 1962 bezogen werden - am 25. Dezember 1962 abends verstarb Professor Hans Runge in seinem neuen Haus. Er war nur 69 Jahre alt geworden. Hans Runge war als Einzelkind aufgewachsen - körperlich zwar zäh, aber nicht sehr kräftig. So lernte er früh, sich eher durch geistige Gewandtheit als durch körperliche und seelische Robustheit zu behaupten. Er war von fürsorgender Strenge als Familienvater und als beruflicher Vorgesetzter, dabei liebenswürdig, chevalresk und anregend in Gesellschaft. Obwohl Städter von Herkunft, empfand er eine tiefe Liebe zur Natur. Er schätzte den beruflichen wie geselligen Umgang mit seinen Fachkollegen. Einfachen Leuten gegenüber war er ein verständiger Gesprächspartner: sie waren immer seiner Geduld und Rücksicht gewiß. Sein Intellekt war ungeheuer rege; er hatte eine betonte Neigung zum Dozieren und war bis in sein Alter glücklich, für seine immer interessanten und tiefschürfenden Monologe verständige - oder auch nur geduldige - Zuhörer zu finden. Er schrieb gerne lange und gehaltvolle Briefe: an seine Berufspartner, von seinen vielen beruflichen Reisen immer wieder an seine Frau, und von 1956 an bis zu seinem Tode an seinen Sohn und seine Schwiegertochter, die in dieser Zeit in Übersee lebten.