Besuch des 23. Welt-Erdöl-Kongresses

Innovative Energieversorgung der Zukunft und Szenarios für die Energiewende

Erstmalig seit 1987 kehrte der Kongress in die Energiehauptstadt Houston zurück. Stefanie Säfken vom Institute of Subsurface Energy Systems war für die TU Clausthal und die Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle e.V. (DGMK) vor Ort. Sie ist als zweite deutsche Vertreterin nun Teil des World Petroleum Council Young Professional Committees (WPC YPC) zusammen mit Dr. Ana-Luiza Lücke (ExxonMobil und Alumna der TU Clausthal) im neuen Zyklus bis zum 24. Kongress 2023 im kanadischen Calgary.

Das World Petroleum Council (WPC) ist ein unabhängiges, unpolitisches Gremium, welches 1933 mit der Zielsetzung gegründet wurde, das nachhaltige Management und die Verwendung der weltweiten Erdölressourcen zum Nutzen der Allgemeinheit zu fördern. Zentrales Medium ist der alle drei Jahre stattfindende World Petroleum Congress, der zentrale Themen der Industrie, sowie ihre sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen, thematisiert. Der nachfolgende Bericht gewährt Einblicke in die Schwerpunkte des vergangenen Kongresses und fasst aktuelle Trends und Herausforderungen der Branche zusammen.

Aufgrund der Pandemie fand der Kongress ein Jahr später als vorgesehen und mit deutlich weniger Teilnehmern statt. So wurden zwar einen Monat zuvor die Einreisebeschränkungen für ausländische Reisenden gelockert, dennoch war es vielen Teilnehmenden nicht möglich in die USA zu reisen. Daher wurde das Programm noch während des Kongresses zum Teil angepasst und der ein oder andere Beitrag als Videoaufzeichnung eingebunden. Dennoch reisten über 5 000 Teilnehmer aus über 70 Ländern vom 5. bis 9. Dezember nach Texas. Mit gültigem Impfzertifikat und dem vor Ort umgesetzten Hygiene-Konzept war ein fast reibungsloser Ablauf mit persönlichem Austausch der Teilnehmenden untereinander möglich. Es waren spannende Plenarvorträge und Diskussionen von und mit Führungskräften aus der Industrie, Ministern verschiedener Länder, Akademiker und Nachwuchstalenten geboten. Darüber hinaus gestalteten Posterbeiträge, WorkShops, eine riesige Ausstellungsfläche mit eigenen Programmpunkten, sowie ein umfangreiches Rahmenprogramm zum sozialen Vernetzen den Kongress.

Öl und Gas als Teil der Lösung?

Der Kongress war Spiegelbild dessen, was in der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Vorstellung für die zukünftige Energieversorgung als erstrebenswert angesehen wird: innovativ, nachhaltig und divers. Im öffentlichen Bild wird jedoch meist eine andere Auffassung vertreten, wie sie auch bei der UN Climate Change Conference (COP26) einen Monat zuvor in Glasgow deutlich hervor trat: eine Welt ohne Öl und Gas mit kleinem Spielraum für andere Optionen. Nur so könnten die Erderwärmung und die Folgen des Klimawandels erfolgreich abgemildert werden. Ein solches Szenario ist jedoch nicht für jedes Land realistisch oder umsetzbar, da es häufig neben den finanziellen Mitteln auch an den Grundvoraussetzungen in der Infrastruktur und anderen Gegebenheiten mangelt. So mahnten neben vielen Experten auch Vertreter verschiedener Länder, dass die Agenda der COP26 die Energiearmut einiger Länder deutlich verstärken werde. Betroffen sind hier ironischerweise ausgerechnet meist jene Länder, die mit ihren Erdöl- und Erdgasreserven ausreichend Potential zum wirtschaftlichen und damit einhergehenden sozialen Aufschwung haben. Häufig genannt wird hierbei Erdgas, da es von den fossilen Brennstoffen der effizienteste und emissionsärmste Energielieferant ist. Aufgrund dessen und einiger Bestreben, die Energiegewinnung aus Kohle durch die aus Gas zu ersetzten, wird die Nachfrage in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen. So konnte die USA durch den Austausch der Kohle durch Erdgas bereits ihre CO2-Emssionen in 2019 um etwa 3% senken und auch China bedient sich verstärkt dieser Strategie. Erdgas ist der Übergangsphase demnach ein verlässlicher Energieträger mit Potential den weltweit steigenden Energiebedarf ohne weiteren Anstieg der CO2-Emssionen zu bedienen.

Somit bedarf es anstelle von Restriktionen vielmehr flexible und regional angepasste Lösungen, Investitionen und innovative Technologien, die auch eine nachhaltige Öl- und Gasförderung ermöglichen und fördern. Dies klingt zunächst nach einem Widerspruch, jedoch gibt es bereits Konzepte zur Einbindung in eine Kreislaufwirtschaft und Methoden wie Carbon Capture and Storage und/oder Utilization (CCS oder CCU) zur Reduzierung schädlicher Emissionen wie denen von CO2 und Methan. In diesem Kontext müssen sich Firmen weniger als Öl- und Gas-Lieferanten, sondern primär als Energielieferanten zum Teil neu definieren. Dabei wird jedoch nicht vergessen, dass auch ein Teil der fossilen Ressourcen zu erdölbasierten Produkten weiter verarbeitet wird. So werden die Raffinerien für den zunehmenden Anteil ihres Absatzes an die petrochemische Industrie manche Prozesse optimieren müssen, andere werden möglicherweise obsolet. Vermehrt werden katalytisches Cracken schwerer Erdölfraktionen, die  Verbrennung nicht verwendbarer Fraktionen zur Wärmegewinnung, sowie C2C-Methoden (direct conversion of crude to chemicals), also die direkte Verwendung von Rohöl zur Herstellung von Chemikalien, den zukünftigen Alltag der Raffinerien gestalten. Eine bereits heute stattfindende Einbindung solcher Methoden und Möglichkeiten in bereits bestehende Prozesse macht auch Raffinerien zukunftssicher für mögliche Szenarien, die diese Energiewende hervorbringen kann.

Um also im Zeichen des Klimawandels den stets steigenden Energie- und Rohstoffbedarf global nachhaltig zu bedienen, bedarf es ein hohes Maß an Diversität. Sowohl in der Energieversorgung, als auch in der restlichen erdölverarbeitenden Industrie.

Mit Diversität und Digitalisierung auf allen Ebenen zum Erfolg

Viele Firmen der Öl- und Gas-Industrie setzten diesen Trend bereits um und haben entweder erneuerbare Energien in ihr Portfolio mit aufgenommen oder durch Energietechnologien mit geringem CO2-Ausstoß erweitert. Dies ist nicht nur für die Minderung der Auswirkungen auf unser Klima von Bedeutung, sondern nimmt auch einen relevanten wirtschaftlichen Stellenwert ein. Diese können sich in der derzeit schnell wandelnden Energielandschaft ihrer klassischen Rolle nicht mehr sicher sein und sehen sich verstärkt mit Unsicherheiten hinsichtlich der Stabilität des Ölpreises, nationaler und internationaler politischer Agenden und Interessen sowie den immer schlechter planbaren Erdölbedarf konfrontiert. Das letzte Jahr hat dies mit dem starken Fall des Ölpreises und den Herausforderungen durch die Corona-Krise deutlich gezeigt. Die schlecht absehbare Entwicklung im Handel mit Emissionszertifikaten oder der Besteuerung schädlicher Emissionen sind ebenfalls abträglich für die Planungssicherheit. Eine Diversifizierung ihrer Aktivposten kann die wirtschaftliche Stellung einer Firma stabil halten und ist auch in anderen Bereichen von Bedeutung, worauf wir später bei der Akquirierung junger Talente und Bindung von Arbeitskräften noch ausführlicher eingehen werden.

Um die dringlichsten Probleme der Industrie, wie die Energiewende, der Wandel zu NetZero und auch die Folgen von dauerhaften oder temporären Fachkräftedefiziten abzumildern, muss auch die Digitalisierung weiter voran getrieben werden. Dieses ist nicht auf den eigenen Büroarbeitsplatz mit mobilem Arbeiten, Dokumenten Sharing, Cloud-Datenspeicherung oder virtueller Konferenzen begrenzt, sondern umfasst die gesamte Strecke vom Ölfeld bis zur Produktion des Endproduktes und kann auch über die Grenzen der eigenen Firma hinaus gehen. Echtzeitanalyse, Datenverarbeitung, globales Datenmanagement und digitale Sicherheit sind unabdingbar für die Industrie der Zukunft. Von der direkten Interaktion mit dem Arbeiter auf der Ölplattform mittels Virtual Reality Head Sets oder der globalen satellitengestützten Überwachung von Methanlecks zeigen sich auf den Messeständen des Kongresses vielfältige Möglichkeiten zur Einbindung neuer digitaler Technologien. Nur so lässt sich die notwendige Transformation dieser Industrie in einem Zeitraum von Jahren oder Jahrzehnten umsetzten, wofür es sonst möglicherweise ein Jahrhundert oder mehr bedurft hätte.

Die junge Generation als Treiber des Wandels

Weitere tragende Säule dieses Wandels sind neue Innovationen und frische Ideen aus den Köpfen junger Talente. Auch hier bedarf es eine deutliche Intensivierung der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und akademischen Institutionen, da die Generation, die sich am stärksten mit den Folgen des Klimawandels und anderen gesellschaftlichen und sozialen Problemen konfrontiert sieht, die Arbeits- und Führungskräfte von Morgen sind. Die Industrie muss lernen, die Sorgen und Nöte dieser Zielgruppe ernst zu nehmen und Lösungen darzubieten, um den Fluss neuer Arbeitskräfte in die Branche aufrecht zu erhalten. Dies zeigt sich deutlich in den Umfrageergebnissen des 2021 Global WPC Youth Surveys im Vorfeld des Kongresses. Von den Befragten im Alter unter 35 Jahren konnten sich nur 59% vorstellen länger als zehn Jahre in der Öl- und Gasindustrie zu arbeiten, 12% weniger als noch bei der ersten Erhebung 2008. Auch die Motivation für die Arbeit im Öl- und Gas-Sektor haben sich verändert: Während früher die Perspektive auf eine Arbeit in einer global vernetzten, multikulturellen und hoch technologiebasierten Industriezweig Hauptgründe für eine Anstellung für die Bewerber waren, sind es heute die schnellen Aufstiegschancen und hohen Einstiegsgehälter. Damit dient die Öl- und Gas-Industrie aus heutiger Sicht eher als Sprungbrett für die Karriere vieler Absolventen, womit die langfristige Bindung von Fach- und Führungskräften gefährdet ist. Wenn auch ein zunehmender Teil der Befragten der Auffassung sind, dass Öl und Gas keine tragende Rolle in der zukünftigen Energielandschaft der nächsten 40~Jahre einnehmen wird, oder sogar dank erneuerbarer Energien komplett überflüssig wird, ist mit 85% dennoch eine deutliche Mehrheit überzeugt, dass sie eine Schlüsselrolle in den derzeitigen Klimaschutzbestrebungen einnimmt. Sie gehen jedoch auch davon aus, dass es in der Macht der Öl- und Gas-Industrie läge, deutlich mehr zur Reduzierung der CO2-Emissionen und dem Vorantreiben der Energiewende beizutragen. Schließlich ist ein Großteil mit der Arbeitsplatzgestaltung und insbesondere der Handhabung flexibler Arbeitsmöglichkeiten in Zeiten der Pandemie sehr zufrieden, sodass hier die Arbeitgeber als durchaus attraktiv wahrgenommen werden. Mehr hierzu und zu weiteren interessanten Fragestellungen an die insgesamt über 5 600 Befragten aus 112 Ländern ist im 2021 Global WPC Youth Survey nachzulesen.

Eine weitere Strategie im Karrieremanagement und der Nachwuchsförderung lautet auch: Diversität, sowie Inklusion. So zeigt sich, dass diverse Teams mit aktiver Integration deutlich produktiver sind als jene, die kein Potential aus einer solchen Zusammensetzung von Personen verschiedener Erfahrungsschwerpunkte, Arbeitsweisen und Lösungsstrategien ziehen. Ein Augenmerk liegt hierbei auf Frauen, welche nach dem aktuellen Bericht der Boston Consulting Group (BCG) Untapped Reserves 2.0 -- Driving Gender Balance in Oil and Gas immer noch deutlich unterrepräsentiert sind, ein Umstand der sich seit der ersten Erhebung in 2017 wenig verändert hat.

Somit sind die Firmen neben ihrer Reputation auch in der Arbeitsplatzgestaltung gefordert, um weiterhin auf einen breiten Talentpool zurück greifen zu können. Dabei sind neben der Diversität auch der Fortbestand flexibler Arbeitsmodelle, wie sie durch die Pandemie beschleunigt etabliert wurden, gleiche Bezahlung, Zuwendungen, sowie Weiterbildungsmöglichkeiten und Karriereförderung zur attraktiven Arbeitsfeldgestaltung und Arbeitnehmerbindung gefragt. Auch die psychische Belastung am Arbeitsplatz, aktives Eingehen auf die Bedürfnisse der Arbeitenden und stetiger Austausch fördern eine Atmosphäre des Vertrauens und des Respekts.

Zusammenfassend sind es also nicht nur die Politik und andere äußere Einflüsse, welche die Transformation zu Net Zero voran treiben, sondern sie gilt auch als eine Notwendigkeit, damit der Zulauf an Fachkräften nicht versiegt und die den Fortbestand dieser Industrie trägt. Von den Teilnehmenden in Houston geht ein starkes Signal in die Welt, dass sich die Branche den bevorstehenden Herausforderungen und ihrer Verantwortung bewusst ist und zeigt auf, wie die Öl- und Gas-Industrie Teil der Lösung sein kann und will. Daher ist es wenig überraschend, dass der 24.Kongress 2023 in Calgary, Kanada, unter dem Titel "Energy Transition -- The Path to Net Zero" geplant ist.

Weitere Informationen:

Kontakt:
Institute of Subsurface Energy Systems
Stefanie Säfken
Telefon: +49 5323 72-2449
E-Mail: stefanie.saefken@tu-clausthal.de